Komplexe Vernetzung: die große Herausforderung bei der Digitalisierung im Mittelstand?

Komplexe Vernetzung: die große Herausforderung bei der Digitalisierung im Mittelstand?

Vor etwas mehr als einem Jahr veröffentlichte ich in diesem Blog den Artikel „Ist IT komplex?“. Aus diesem Artikel entstanden zahlreiche Diskussionen darüber, was denn Komplexität sei. Die Verständnisse gingen weit auseinander. Für die Einen ergab sich die Komplexität eines Systems aus der hohen Anzahl an Elementen, den vielen Verknüpfungen zwischen den Elementen und der Unüberschaubarkeit dieser Verknüpfungen. Große Software-Systeme waren somit komplex. Für andere durfte das Gesamtverhalten des Systems nicht eindeutig beschreibbar sein, wie zum Beispiel die Bewegung eines Mobiles. Aus diesem Blickwinkel heraus gesehen ist Software nicht komplex, da sich Computer exakt so verhalten, wie die Software es vorschreibt. Zumindest wenn sich nicht kaputt sind.

Die unterschiedlichen Sichten auf Komplexität gehen immer auch einher, mit unterschiedlichen Systemen, auf welche die Befragten ihre Aussage zu Komplexität beziehen. Wenn man die Wetterphänomene in der Atmosphäre mit dem Verhalten eines Computers vergleicht, so ist das Verhalten des Computers sehr gut vorhersagbar und auch weniger komplex. In diesem Artikel möchte ich Arten von Komplexität vorstellen, die Unternehmen bei der Digitalisierung im Auge haben und meistern müssen. Denn die Komplexität häufig der Grund, warum solche Vorhaben scheitern.

Konstruierte versus gewachsene Systeme

Systeme können konstruiert sein, d.h. es gibt einen Plan, nach dem Sie zusammengebaut wurden und einen Plan, wie sie funktionieren (sollen). Hierunter fallen z.B. Gebäude, Maschinen aber natürlich auch programmierten Systeme. Bei konstruierten Systemen lassen sich verlässliche Vorhersagen über deren Verhalten machen. Dafür stehen die Ingenieurswissenschaften. Sie lehren die Konstrukteure, wie man Systeme so gestaltet, dass gefordertes Verhalten auch eingehalten wird. Programmierte Systeme verhalten sich exakt so, wie es in der Software vorgegeben ist.

Systeme können aber auch entstehen, indem ihre Elemente verbunden wurden, ohne dass es einen bekannten Masterplan gibt. Ein Beispiel hierfür ist das weltweite Finanzsystem. Ökonomen versuchen sich immer besser darin zu werden, Vorhersagen zu treffen. Sie scheitern aber auch immer wieder an der Komplexität und dem Faktor Mensch, der sich nicht an die Modelle hält.

In der IT spielen gewachsene Systeme auch eine bedeutende Rolle. Besonders im Rahmen der Digitalisierung werden immer mehr Software-Systeme nachträglich miteinander vernetzt. Während es für die Einzelsysteme (z.B. ein ERP-System) vielleicht noch klare Konstruktionspläne gibt, fehlt allzu oft der Masterplan für die Gesamt-IT eines Unternehmens oder dieser ist unzureichend.

Die Vernetzung ist auch eine große Herausforderung für die beteiligten Konstrukteure. Sie müssen über ihren bisherigen Tellerrand schauen. Sie müssen sich mit neuen Kollegen abstimmen. Sie müssen plötzlich Probleme aus anderen Perspektiven sehen. Hieraus ergibt sich eine enorme Komplexität, die es zu meistern gilt, damit das neue Gesamtsystem (Vernetzung aus den vielen Einzelsystemen) auch zuverlässig und vorhersagbar funktioniert. Alle Automobilhersteller hatten damit enorme Schwierigkeiten, als die ersten Steuergeräte in den Fahrzeugen miteinander vernetzt wurden. Die Beherrschung der  Vernetzung technischer Systeme wird durch das Internet der Dinge (IoT) eine ganz besondere Bedeutung bekommen.

Technische Standards für Schnittstellen oder Plattformen, auf denen die Einzelsysteme integriert werden, sind eine Maßnahme, die Komplexität der Vernetzung zu beherrschen. Nichtsdestotrotz ist ein Masterplan unerlässlich, der den an der Vernetzung beteiligten Menschen den erforderlichen Überblick ermöglicht.

Der Lebenszyklus der digitalen Systeme

IT-Systeme haben einen Lebenszyklus. Sie werden geplant, entwickelt, in Betrieb genommen und dann immer weiter entwickelt. Bei jedem Umbau kommt der Faktor Mensch ins Spiel. Entwickler fügen neue Elemente in das System ein oder stellen neue Verbindungen zwischen den Elementen des Systems her.  Die Vorhersagbarkeit des Verhaltens des neuen Systems hängt sehr stark davon ab, wie gut die Entwickler das alte System verstanden haben. Dies ist für viele Unternehmen ein großes Problem und birgt enorme Risiken. Mitarbeiter verlassen das Unternehmen, IT-Dienstleister werden gewechselt. In die Details können sich neue Mitarbeiter recht schnell einarbeiten. Mit jedem Ausscheiden eines erfahrenen Mitarbeiters geht aber immer auch Know-how über die wirklich wichtigen Zusammenhänge verloren. Dieses Know-how können sich die neuen Mitarbeiter nur schwer oder gar nicht erarbeiten. Diese Zusammenhänge sind nun einmal nicht mit den Sinnen erfassbar, wie es beispielweise bei einem Gebäude möglich ist. Sie sind erst zu erkennen, wenn man die Systeme wirklich verstanden hat.

Auch wenn bei einem neuen Release die Computer weiterhin exakt das tun, was in der jetzt neuen Software vorgeschrieben ist, so ist ihr Verhalten immer schwerer vorhersagbar. Man muss nämlich die Menschen, die die Software entwickeln mit in die Betrachtung einbeziehen. Man muss sie vernetzt mit den Systemen betrachten. Können sie die Auswirkungen ihrer neuen Programmzeilen wirklich abschätzen? Oder kennen sie nur den Teil der Software, an dem sie selber mit programmiert haben?

Auch hier erhöht sich wiederum durch die Vernetzung die Komplexität deutlich und diese Komplexität gilt es zu meistern. Die Methoden der Informatik sind leider nur beschränkt nutzbar. Sie sind zu sehr auf Details fixiert, selber sehr kompliziert und stellen formale Korrektheit über den Bedarf von Menschen, Systeme wirklich zu verstehen. Entwickler weichen deshalb oft auf triviale, nichtssagende „Bildchen“ aus, über die kein wirklicher Know-how-Transfer möglich ist. Dabei gibt es Methoden, die dafür hervorragend geeignet sind, wie die Fundamental Modeling Concepts. SAP als führendes deutsches Software-Unternehmen hat sie deshalb auch in den internen Dokumentationsstandard TAM (Technical Architecture Modeling) integriert.

Zu enge Systemgrenzen

Wenn die Welt für uns zu komplex wird, ziehen wir uns gerne auf das zurück, was wir kennen. Wir ziehen gedanklich Mauern. Innerhalb der Mauern liegt die Welt, die uns vertraut ist und in der wir uns wohl und sicher fühlen. Der Rest ist draußen, darum müssen sich andere kümmern.

Die Hersteller digitaler Technologien verhalten sich ähnlich. Sie fokussieren sich auf ihre technischen Lösungen, die sie den Unternehmen gerne verkaufen. Mit viel Glück unterstützen sie noch dabei, wie sich ihre technischen Produkte in die IT-Landschaft ihrer Kunden integrieren.

Leider wird Technik aber immer nur vernetzt mit Prozessen und Menschen zu einer Lösung, die einem Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg beschert. Damit lassen die Hersteller ihre Kunden jedoch alleine, was ihnen auch nicht vorzuwerfen ist. Die Unternehmen müssen sich schon selber überlegen, welche Auswirkungen die neuen Technologien auf Ihre Prozesse haben, was dies für die Menschen im Unternehmen bedeutet und wie man die Menschen am besten auf die Veränderung vorbereitet.

Auch hier ist es die Vernetzung, die gemeistert werden muss, damit Digitalisierung erfolgreich sein kann. Und zwar eine Vernetzung über die Grenzen der Technik hinaus. Die Unternehmen können sich dabei noch nicht einmal auf die internen Prozesse und Mitarbeiter beschränken. Ein Denken über die Unternehmensgrenzen hinweg ist von Nöten, welches auch Kunden und Geschäftspartner mit einschließt.

Konzerne haben diesen Bedarf erkannt und können sich eigene Spezialisten leisten oder kaufen diese teuer bei den großen Beratungsunternehmen ein. Beim Mittelstand fehlt oft das Bewusstsein, welche Aufgaben man selber erledigen muss. Und es fehlen oft die personellen Ressourcen. Man verlässt sich auf den IT-Dienstleister, der die Vernetzung außerhalb der Technik aber nicht als seine Aufgabe ansieht. Wenn die Ergebnisse dann unzureichend sind, wird schnell die Schuld auf die Technik geschoben. Sie tut mal wieder nicht das, was gebraucht wird. Die Ursache liegt aber ganz woanders.

Ein Kommentar

  1. Ja genau
    Zunächst die CRM oft „nur“ Outlook, dann Auftragsprogramm(e) CAD, NC, Bestellwesen usw. und am Schluss die Buchhaltung die manchmal alles, aus verschiedensten Programmen, zusammensucht oder neu erfasst, da das Suchen länger dauert und die Workflows unterbrochen wurden. Dann kommt ein DMS um die Ecke und macht alles anders. Die Kunst liegt also im Erkennen der vorhandenen und sinnvollsten Gesamtlösung unter Berücksichtigung von funktionierenden Workflows und Stand der möglichen Techniken. Hierzu gibt es zum einen unabhängige Berater und Förderungen vom Staat. Zweitens sind seit 1.1.2015 neue Möglichkeiten in der digitalen Buchführung und damit Dokumentanbindung an Buchungssätze möglich, erwünscht und teilweise vorgeschrieben. Und Drittens müssen Doppeleingaben und der wirkliche Bedarf an Datenbankinformationen hinterfragt werden.

    http://www.e4buero.de & http://www.start-up-gmbh.de

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