Das Organigramm und seine Grenzen
Organigramme stellen in der Regel die disziplinarische Verantwortung in einem Unternehmen dar. Wer ist wem weisungsbefugt und wer muss an wen berichten. Doch beschreiben Sie damit auch das Unternehmen? Wenn ja, was beschreiben Sie und was wird nicht betrachtet?
Die hinter Organigrammen steckende Denkweise war im Militär sehr wichtig. Um Armeen schnell aus einem Ruhezustand – dem Leben in der Kaserne – in einen operativ funktionierenden Zustand – eine Schlacht – zu bringen, war eine strenge Kommunikations- und Weisungsstruktur zwingend. Für jede Schlacht, also die Zeit, in der die Armee operativ war, wurde eine individuelle Strategie entwickelt. Das operative taktische Vorgehen wurde anhand von Schlachtplänen im Team der Generale geplant. Dabei wurden teilweise die Schlachtfelder im Modell nachgebaut, damit alle dieselbe Vorstellung im Kopf und einen guten Überblick hatten. So wurde dann gemeinsam das Zusammenspiel der Verbände festgelegt und koordiniert. Diese Vorgaben waren dann von der Armee umzusetzen. Um diese Vorgaben – man kann sie auch „Changes“ nennen – schnellstmöglich und ohne Widerspruch der Soldaten umzusetzen, war eine streng hierarchische Aufbauorganisation enorm wichtig. Ob die Schlacht gewonnen wurde, entschied jedoch in erster Linie der Schlachtplan. Das Organigramm war entscheidend dafür, dass der Schlachtplan schnell genug umgesetzt und bei Bedarf angepasst werden konnte.
Wie würde es nun aussehen, wenn wir diese Denkweise auf heutige Unternehmen übertragen würden? Den Ruhezustand in der Kaserne werden wir nicht mehr wieder finden. Eigentlich sind Unternehmen immer „in einer Schlacht“ (denken Sie nur an Redewendungen wie „war for talents“). Wenn Unternehmen ständig in ihrem „operativen Modus“ sind, wo ist denn dann ihr „Schlachtplan“? Wo ist der Plan, der das operative Zusammenspiel der Abteilungen zeigt? Denn wenn die Parallelen gezogen werden können, entscheidet schließlich dieser Plan, wie leistungsfähig und erfolgreich das Unternehmen ist. Teilweise übernehmen heute Prozessmodelle diese Aufgabe. Ein Prozessmodell zeigt allerdings nur einen einzelnen Ablauf, nicht das Unternehmen als Ganzes.
Das Organigramm ist dafür nicht gedacht. Es zeigt, wie ein Unternehmen gesteuert wird, aber nicht wie es funktioniert. Vergleichbar vielleicht mit einer Stückliste für einen Motor. Dort sieht man alle Bauteile. Um zu verstehen, wie das System Motor funktioniert, hilft die Stückliste nur wenig. Hierfür braucht man einen Bauplan.
Wie wird Ihr Unternehmen gesteuert? Anhand des Organigramms? Oder gibt es in Ihrem Unternehmen einen Plan, der zeigt, wie die Abteilungen zusammen arbeiten? Einen Plan, der zeigt, wo es Schnittstellen gibt? Die oft verwendeten Wertschöpfungsketten reichen dafür nicht aus. Deren Aussagekraft ist zu gering und zu allgemein, um sie als „Schlachtplan“ zu verwenden.
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen so etwas vermissen, dann probieren Sie doch einfach einmal aus, Ihr operatives Geschäftsmodell als Plan zu visualisieren. Sie werden überrascht sein, welche Erkenntnisse Sie daraus ziehen können. Es erfordert jedoch, sich auch intensiv mit dem operativen Geschäft auseinander zu setzen.
Sehr interessante und nachvollziehbare Überlegungen.
Als Marketing-Mann sind mir Organigramme schon von Grund auf suspekt. Sie können einfach das militärisch-hierarchische Gen nicht verleugnen. Ein Unternehmens-Organismus funktioniert aber heute anders. Das soll nicht heissen, das man keine Organigramme mehr braucht, aber sie haben nicht die Bedeutung, die Ihnen manche geben (möchten).
«Das Organigramm zeigt wie ein Unternehmen gesteuert wird, nicht wie es funktioniert.» ist für mich eine Aussage mit Merksatz-Charakter. Ich werde ihn immer dann aus dem Köcher ziehen, wenn Kunden es mal wieder für essentiell halten, dass ihr Organigramm auf der Website aufrufbar ist. Denn wie das Unternehmen gesteuert wird, ist für den gemeinen Internetsurfer, der sich über das Unternehmen informieren will, einigermassen peripher. Aber wie das Unternehmen funktioniert, das könnte schon bedeutend interessanter sein.
Nur, wie stellen wir das dar?