Hey Joe, Dr. No und das Business Model Canvas
Kennen Sie Hey Joe und Dr. No? Fachbereiche wünschen sich oft einen Hey Joe in der IT-Abteilung. Jemanden, den man unkompliziert anfragen kann: „Hey Joe, kannst Du nicht mal schnell …“.
Junge Mitarbeiter in der IT sind anfangs oft sehr eifrig und lassen alles fallen und liegen um ihrem Kunden seinen dringenden Wunsch zu erfüllen. Leider führt diese falsch gehandhabte Agilität zu oft dazu, dass die Fachbereiche sich zu wenig Gedanken über ihren wirklichen Bedarf machen. Die schnell mal so an die IT gestellten Anforderungen sind häufig unklar und leider meistens zu kurz gedacht. In der Folge sind teure und aufwändige Nacharbeiten erforderlich. Diese verschlingen Budgets, binden wertvolle Ressourcen und behindern in der Folge wirkliche Innovationen im Unternehmen, die für den Geschäftserfolg wichtig wären.
Aus Sicht der Fachbereiche hat dann die IT nicht das geliefert, was sie sollte (siehe auch „Die IT blockiert und liefert nicht das, was gebraucht wird!“). Auf Seite der IT führt Unausgereiftheit der Anforderungen der Fachbereiche zu einer so hohen Frustration, dass so mancher Hey Joe zum Dr. No wird. Dr. No ist derjenige, der Anfragen aus den Fachbereichen grundsätzlich erst einmal ablehnt. Zum Schutz baut die IT formale Hürden auf, die jegliche Veränderungen von vorne herein ausbremsen. Das eine Extrem der Zusammenarbeit schlägt um in ein anderes. Wobei fraglich ist, ob das Wort Zusammenarbeit überhaupt noch passend ist.
Digitale Innovationen fordern die Fachbereiche, nicht nur die IT
Auch wenn der Name etwas anderes suggeriert: Digitale Innovationen sind keine reine Technologie-Aufgabe. Die Technik ist nur Mittel zum Zweck. Digitale Innovationen verlangen einen klaren Blick auf die Prozesse und die betroffenen Menschen. Die Fachbereiche in den Unternehmen sind mehr denn je gefordert, über Ihren Tellerrand zu schauen und ihre Strukturen zu überdenken, bevor sie die IT beauftragen. Dazu sind keine wochenlangen Analysen durch Experten erforderlich. Mit einfachen Werkzeugen, die Übersicht bieten und den Blick weiten, lässt sich unkompliziert viel erreichen.
Eines dieser Werkzeuge ist das Business Model Canvas. Diese Form Geschäftsmodelle zu visualisieren und zu entwickeln ist besonders bei Startups sehr verbreitet. Mittlerweile gibt es mehr als 5.000.000 Nutzer. Es wurde von Alexander Osterwalder entwickelt und dankensweise unter der Creative Commons Lizenz auf BusinessModelGeneration.com zur Verfügung stellt.
Das Business Model Canvas hilft, alle wesentlichen Elemente eines Geschäftsmodells in ein System zu bringen und zu visualisieren. Es werden neun Bereiche erfasst und gemeinsam auf dem Canvas dargestellt:
Wertangebote | Welchen Nutzen stiften wir für den Kunden? Welche Probleme lösen wir? Welche Kundenbedürfnisse befriedigen wir? Welche Produkte/Dienste bieten wir den jeweiligen Kundensegmenten an? |
Kundensegmente | Wen wollen wir mit unseren Leistungen erreichen? Welche Probleme mit welchem Bedarf erkennen wir bei diesen? Für wen wollen wir Nutzen stiften? Wer ist die Zielgruppe? |
Kundenbeziehungen | Welche Art von Beziehung erwartet jedes unsere Kundensegmente? Welche Kundenbeziehungen haben wir bereits aufgebaut?Wie sind diese mit dem Rest unseres Geschäftsmodells integriert? Wie gewinnen, halten und entwickeln wir unsere Kunden? |
Kanäle | Über welche Vertriebs- und Kommunikationswege erreichen wir unsere Kunden? Wie erfahren die Kunden von dem Angebot und wie bekommen sie es? |
Partner | Wer sind unsere strategischen Partner? Welche Ressourcen beziehen wir von den Partnern? Welche Aktivitäten erbringen diese Partner? |
Kernaktivitäten | Welche Aktivitäten … … erfordert unser Nutzenversprechen? … erfordern unsere Vertriebs- und Kommunikationswege? … erfordern unsere Kundenbeziehungen? … erfordern unsere Einnahmequellen? Was sind die wichtigsten Tätigkeiten, um unsere Geschäftsmodell umzusetzen? |
Schlüsselressourcen | Welche Ressourcen … … erfordert unser Nutzenversprechen? … erfordern unsere Vertriebs- und Kommunikationswege? … erfordern unsere Kundenbeziehungen? … erfordern unsere Einnahmequellen? |
Kosten | Was sind die bedeutendsten Kosten in dem Geschäftsmodell? Welche Ressourcen sind am teuersten? Welche Aktivitäten sind am teuersten? |
Einnahmeströme | Für welchen Nutzen sind die Kunden bereit zu zahlen? Wofür zahlen sie momentan? |
In einem Business Model Canvas muss nicht zwingend das Geschäftsmodell eines ganzen Unternehmens erfasst werden, wie dies bei Startups üblich ist. Das Modell ist anwendbar für einzelne Produkte, Produktgruppen oder für Service-Angebote, die intern oder extern angeboten werden können.
Das Business Model Canvas können Sie von BusinessModelGeneration.com kostenfrei herunter laden, groß als Poster ausdrucken und dann die Spezifika Ihres Geschäftsmodells auf Zettel notieren und auf das Canvas kleben. Dies funktioniert am Besten im Team, da dabei unterschiedliche Sichtweisen integriert werden. Die Effekte sind oft überraschend. Eine Sammlung unterschiedlicher Geschäftsmodelle Anregung finden Sie bei flyHigher.com. Als Anregung sind diese gut geeignet. Der eigentliche Nutzen entsteht jedoch während des Prozesses der Erstellung oder Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells.
Wie kommt man damit zu durchdachteren Anforderungen an die IT?
Wenn ein Unternehmen Geld für Technologie ausgibt, so ist dies aus seinem Geschäft heraus begründet. Sollte es zumindest sein. Bei jeder Veränderung ist es somit hilfreich, wenn alle beteiligten Personen das Geschäftsmodell auch gleichermaßen verstanden haben. Dies ist der ursprüngliche Zweck des Canvas.
Das Canvas kann aber auch dazu genutzt werden, um die Auswirkungen von Veränderungen unkompliziert besser abschätzen zu können. Für jeden der im Canvas erfassten neun Bereiche ist zu überlegen, was die Veränderung bedeutet und nach sich führt. Dies erreicht man am besten in interdisziplinären Teams, also gemeinsam mit der IT und mit angrenzenden Fachbereichen. Das Business Model Canvas ermöglicht mit wenig Aufwand einen guten Blick über den eigenen Tellerrand und hilft zu vermeiden, dass sich Changes wegen Nacharbeiten unnötig in die Länge ziehen und knappe Budgets aufzehren ohne wirklichen Nutzen zu bringen.
Für die IT ist wichtig, dass Veränderungsbedarf in allen Bereichen des Business Modell Canvas möglichst klar und möglichst früh erkannt und kommuniziert wird. Da das Canvas alle Bereich auf einen Blick zeigt, fällt es leichter Abhängigkeiten zu erkennen und nachzuverfolgen. Hier ein paar Beispiele für Fragen, die in den einzelnen Bereichen für die IT von Interesse sind:
- Kernaktivitäten
- Müssen neue Prozesse unterstützt werden?
- Muss die Unterstützung bestehender Prozesse angepasst werden?
- …
- Kanäle
- Müssen Webseiten oder Shops angepasst werden?
- Müssen Dokumente wie Rechnungen, Lieferscheine usw. angepasst werden?
- Müssen Kanäle für automatisierte Kommunikation (z.B. Mail, Apps, …) eingerichtet oder angepasst werden?
- …
- Schlüsselressourcen
- Müssen neue Systeme integriert werden?
- Sind Updates oder Erweiterungen erforderlich?
- Müssen neue Mitarbeiter mit ITK ausgestattet werden?
- Müssen neue Rollen und User eingerichtet werden?
- …
- Partner
- Müssen neue Geschäftspartner angebunden werden?
- Muss die Anbindung an Geschäftspartner angepasst werden?
- Können bestehende Lösungen wegfallen?
- Müssen Formulare, Dokumente, Reports, Webseiten oder Anwendungen in neuen Sprachen bereitgestellt werden?
- …
- Kosten/Einnahmeströme
- Müssen Berichte und Auswertungen angepasst werden?
- Muss das Data Warehouse angepasst werden?
- Werden Anpassungen an der FiBu notwendig, z.B. für den Jahresabschluß?
- …
- Wertangebot
- Müssen Produkte angepasst oder neu entwickelt werden?
- Müssen neue Artikel in Datenbanken oder Kataloge eingepflegt werden?
- Können neuartige Produkte korrekt in den bestehenden Systemen (ERP, PPM, …) korrekt verwaltet werden oder sind Anpassungen erforderlich?
- …
- Kundensegmente
- Verändern sich Lastanforderungen an Systeme und Netzwerke?
- Verändern sich Datenmengen?
- Ändern sich Sicherheitsanforderungen?
- Müssen Formulare, Dokumente, Reports, Webseiten oder Anwendungen in neuen Sprachen bereitgestellt werden?
- …
Welche weiteren Werkzeuge gibt es?
Systembaupläne sind weitere Werkzeuge, um den Blick über den eigenen Tellerrand zu öffnen. Solche Baupläne zeigen das Zusammenwirken der Teile, die gemeinsam das System bilden. Baupläne lassen sich für verschiedene Perspektiven erstellen:
- Der Prozessbauplan zeigt die Schnittstellen und das Zusammenwirken der Geschäftsprozesse, sowie die Daten, von denen die Prozesse abhängig sind.
- Der Organisationsbauplan zeigt die operativen Schnittstellen zwischen Organisationseinheiten, deren Aufgabenbereiche sowie deren Datenbedarf.
- Der IT-Bauplan visualisiert das Zusammenspiel von IT-Bausteinen unterschiedlichster Art.
All diesen Bauplänen ist gemeinsam, dass sie ein übersichtliches und leicht zu erfassendes Systemverständnis liefern und es damit möglich wird, die Auswirkungen von Veränderungen an einem Systembaustein sicherer abschätzen zu können.
Das Business Model Canvas bzw. Business Model Design wird m.E. optimal ergänzt durch das Value Proposition Design (bzw. Value Proposition Canvas). Übrigens auch u.a. von Dr. Osterwalder als ergänzender Ansatz zum Business Model Design entwickelt. Dabei werden das Kundenprofil und die Value Map entwickelt und versucht beide in Übereinstimmung zu bringen. Im Prinzip kann darüber überprüft werden, ob eine Wertangebot (bzw. ein zu erstellendes Projektergebnis) auch wirklich zur Problemlösung und Gewinnerzeugung beim Kunden beiträgt.
Aus Projektsicht eignet sich dieses Instrument hervorragend, um einen Business case auf den Prüfstand zu stellen. Business case werden i.d.R. vor der Genehmigung eines Projekts erstellt, um die wirtschaftliche Rechtfertigung zu untermauern. Häufig werden in Business cases Aussagen zu Ausgaben und Einnahmen gemacht. Gerade die Einnahmen sind jedoch oftmals von mehr oder weniger validen Annahmen geprägt. Der Ansatz des Value Proposition Designs kann hier helfen diese Annahmen über Tests zu validieren bzw. die Unsicherheiten zu reduzieren.
Beste Grüße
Wolfgang Gotscharek
http://www.gotscharek-company.com