Von Steinmetzen, Baumeistern und Sängern des hohen Liedes

Von Steinmetzen, Baumeistern und Sängern des hohen Liedes

Vor Kurzem hat mir eine sehr erfahrene Turn-Around-Managerin eine schöne Geschichte erzählt, die sie in ihren Projekten einsetzt:

Es war die Zeit, als die großen Kathedralen gebaut wurden. Ein Mann kam in Paris an der Baustelle der der Notre-Dame vorbei und sah drei Steinmetzen bei der Arbeit zu. Jeder war dabei, einen Sandstein zu bearbeiten. Er fragte den ersten Steinmetz, was er den tue. „Ich behaue einen Stein“ sagte dieser und man konnte die Anstrengung der Arbeit in seinem Gesicht erkennen. Dann ging der Mann zum zweiten Steinmetz und frage auch ihn, was er tue. „Ich baue eine Kathedrale“ sagte dieser mit stolz geschwellter Brust. Auch der dritte Steinmetz wurde befragt und antwortet voll Begeisterung: „Ich singe ein hohes Lied zu Ehren Gottes“.

Diese kleine Geschichte ist in unterschiedlichen Varianten zu finden. Mir gefällt diese Version mit dem hohen Lied am besten. Die Blickwinkel der drei Steinmetze passen gut zu drei Ebenen, die ich in Projekten immer wieder beobachten kann:

Auf der einen Ebene gibt es die vielen Team-Mitglieder, die Aufgaben im Projekt erledigen. Sie bearbeiten ihren „Block“ und werden davon komplett in Anspruch genommen, die Aufgabe fordert die ganze Aufmerksamkeit. Am Ende müssen die vielen Blöcke dann noch alle zusammen passen. Keine einfache Sache.

Auf der obersten Ebene „singt das obere Management das hohe Lied des Unternehmens“, das Lied von mehr Erfolg, neuen Märkten, Druck der Konkurrenz usw. Dies meine ich nicht despektierlich. Eine klare Vision und Mission ist enorm wichtig nicht nur für Unternehmen, sondern auch für einzelne Projekte. Manchmal fehlen sie leider. Wie für jedes Vorhaben sind auch für Projekte Strategien erforderlich. Die Führungskräfte müssen diese nicht nur entwickeln, sie müssen sie auch kommunizieren. Bei größeren Veränderungen wird dies erkannt und die Unternehmen bedienen sich professioneller Unterstützung durch erfahrene Change-Manager.

Zwischen den „Steinmetzen“ und den „Sängern des hohen Liedes“ liegt die Ebene der Baumeister. Ich erlebe diese leider manchmal als etwas diffus. Nicht, dass es keine Baumeister gäbe. Es gibt häufig sogar mehrere, allerdings meist nur für einzelne Themenbereiche, wie z.B. den Baumeister für die Software-Architektur. Sein Bauplan erschließt sich allerdings nur einer kleinen Gruppe, den Entwicklern. Der Rest der Beteiligten findet sich darin nicht wieder und kann ihn nicht wirklich verstehen. Der Projektleiter fokussiert sich auf die Organisation der Aufgaben der „Steinmetze“, er zeichnet aber keine Bild der Kathedrale.  Auf dieser Ebenen können sich Unternehmen noch deutlich verbessern und sollten es auch, denn diese Ebene stellt die Verbindung zwischen dem „hohen Lied“ und den zu „behauenden Steinblöcken“ dar.

No Details

Wir alle scheuen uns davor, uns festzulegen. Sich festzulegen heißt schließlich auch, sich in seiner Freiheit einzuschränken. Wer mag das schon. Das geht auch Top-Führungskräften nicht anders. Natürlich sind Menschen im Top-Management nicht entscheidungsscheu. Sie treffen alltäglich Entscheidungen. Die Frage ist nur wie? Wenn Führungskräfte sich nicht festlegen möchten, aus welchen Gründen auch immer, dann meiden sie Details und Präzision.

Mit einer Führungskraft eines großen deutschen Finanzunternehmens habe ich mich vor kurzem darüber unterhalten. Sie nutzt bei Abstimmungen mit dem Vorstand gerne grafische Pläne um Zusammenhänge deutlich zu machen. Das ist für manche unangenehm und sie wollen sich den Details entziehen. Als verantwortlicher „Baumeister“ für seine Projekte lässt er aber nicht locker und fordert die Präzision ein, die für den Erfolg des Projektes gebraucht wird.

Führungskräfte meiden Details jedoch nicht nur, weil sie sich nicht festlegen wollen. Die Details sind häufig zu komplex und der Aufwand ist zu hoch, sie wirklich zu verstehen. Dem oberen Management fehlt es schlicht an der Zeit, sich so tief einzuarbeiten. Hierin liegt eine sehr große Verantwortung der „Baumeister“. Sie müssen das Management dabei unterstützen, Entscheidungen in der erforderlichen Präzision fällen zu können.

Baumeister müssen das Bild der Kathedrale kommunizieren

Natürlich braucht eine Kathedrale einen guten Entwurf. Das alleine reicht aber nicht. Der Entwurf muss auch an viele kommuniziert werden. Auf der einen Seite müssen alle Steinmetze diesen verstehen und ihren „Steinblock“ darin wieder erkennen. Auf der anderen Seite muss das Management erkennen, wie seine Vorstellungen umgesetzt werden und muss in die Lage gebracht werden, bei wichtigen Details mitentscheiden und den Fortschritt und die Probleme beim Bau verstehen zu können. Leider werden zu viele Beteiligte übersehen und ihr Bedarf an Übersicht wird nicht erfüllt. Datenschutzbeauftragte, Betriebsrat sind typische Beispiele.

Wenn es gelingt, allen Beteiligten ein für sie verständliches Bild der Kathedrale zu vermitteln, dann können sich diese selber untereinander besser abstimmen und ihre kreativen Lösungsideen einbringen. Und es entsteht eine ganz andere Motivation und Identifikation mit dem Projekt und den eigenen Aufgaben.