Schnittstellen: Fluch oder Segen?

Schnittstellen: Fluch oder Segen?

Woran denken Sie wenn Sie das Wort Schnittstelle hören? An Probleme? Dann sind Sie nicht alleine. Viele denken bei dem Wort Schnittstelle an Probleme.  „Schnittstellen sind teuer“ , „Schnittstellen funktionieren nicht. Sie passen nicht zusammen.“, „Wir waren eigentlich fertig, doch dann gab es Problem an den Schnittstellen“.  Es stellt sich jedoch die Frage: Sind die Schnittstellen der Grund für Probleme oder nur der Ort, an dem Probleme sichtbar werden?

Schnittstellen verbinden Systeme

Was sind denn eigentlich Schnittstellen? Schnittstellen verbinden Systeme, die vorher getrennt waren. Sie verbinden Systeme mit Ihrer Umgebung, oder sie verbinden Teilsysteme untereinander. Welche Art von Systemen dies sind, spielt keine Rolle. Vom Computer über Fotoapparate, Smartphones, Mitarbeiter, Lieferanten, Unternehmen, Behörden usw.: all diese Systeme sind über Schnittstellen miteinander verbunden.

Über die Schuko-Steckdose können wir Strom beziehen. Dazu wurden Vereinbarungen festgelegt. Diese  reichen über unterschiedliche Ebenen: neben den mechanischen Maßen, die wir mit dem Auge erkennen können, ist auch die elektrische Spannung festgelegt und wir können uns darauf verlassen, wenn wir ein Gerät an die Steckdose anschließen.  Beim USB Stecker kommen noch Vereinbarungen auf logischen/funktionalen Ebenen hinzu, wie z.B. die Übertragung von Daten. In Software-Systemen finden sich unendlich viele Schnittstellen, die mit dem Auge nicht sichtbar sind. Das Interface als Entwurfsmuster ist für gute Software-Architekten ebenso wichtig, wie ein Hammer für einen Schmied.

Schnittstellen definieren die Zusammenarbeit von Systemen

Schnittstellen finden wir nicht nur in der Technik. Wir finden sie auch in unserem Alltag. Wenn Sie zu Ihrem Bäcker gehen, so werden sie nicht einfach in die Backstube laufen und sich dort Ihre Brötchen holen. Sie werden im Verkaufsraum Brötchen bestellen und müssen diese dort auch bezahlen. So sieht es die Vereinbarung vor, an die wir uns alle halten, auch ohne dass es eine formale Norm gibt (Wobei das Bezahlen schon im Gesetz geregelt ist).

Schnittstellen reduzieren die Komplexität

Wenn wir zum Bäcker gehen und dort Brötchen kaufen, so müssen wir uns nicht damit befassen, was in der Backstube vor sich geht. Das müssten wir, wenn wir dort einfach reinspazieren würden und uns Brötchen vom Blech nehmen würden. Der Verkaufsraum als „Schnittstelle“ entlastet uns davon. Wir müssen uns nicht damit beschäftigen, wie es „dahinter“ ausschaut. Das System „Bäckerei“ wird zur Black Box, von der wir nur ihre Schnittstelle kennen müssen, um sie zu nutzen. Wir können uns voll und ganz auf das konzentrieren, weshalb wir zum Bäcker gegangen sind: auf die Brötchen. Die Schnittstelle hat die Komplexität reduziert.

Wenn Ingenieure komplexe Systeme beherrschen bauen, unterteilen sie diese in kleinere, einfachere Teil-Systeme. Diese haben eine definierte Aufgabe und sind über Schnittstellen verbunden. Um das Gesamtsystem zu verstehen, muss man nicht jedes Teilsystem im Detail betrachten. Es ist vielmehr wichtig zu verstehen, wie die Teilsysteme miteinander verbunden sind. Und dies geschieht über die Schnittstellen.

Schnittstellen legen Zuständigkeiten fest

Beim Beispiel Bäckerei ist es ganz klar: die Bäckerei ist verantwortlich für das Backen der Brötchen, mit allem was dazu gehört. Sie muss sich an die zahlreichen Regeln des Lebensmittelgesetzes halten und müssen das Handwerk des Backens beherrschen. Für die Kunden gibt es recht wenige Aufgaben. Sie müssen das Geld mitbringen, das für die Brötchen verlangt wird.

Wenn an Schnittstellen ein Teilnehmer einen Dienst erbringt – die sogenannten Service Schnittstellen – ist diese Asymmetrie typisch. Hauptsächlich die Zuständigkeiten des Serviceleistenden werden beschrieben. Über die Aufgaben des Service-Konsumenten sagt eine Service-Schnittstelle meist wenig aus. Der Service soll ja möglichst vielfältig nutzbar sein.

Schnittstellen bringen Stabilität und ermöglichen Flexibilität

Hört sich das nicht widersprüchlich an? Stabilität und Flexibilität? Passt das zusammen? Schauen wir wieder auf unser Beispiel, die Bäckerei. Wenn in unserer Bäckerei die Backstube umgebaut wird, müssen wir davon im Verkaufsraum nicht unbedingt etwas mitbekommen. Sofern der Umbau so geplant wird, dass die Schnittstelle zum Kunden (also der Verkaufsraum) unverändert bleibt, sind die Kunden von dem Umbau auch nicht betroffen. Durch die Schnittstelle wird also eine Flexibilität innerhalb des Teilsystems Backstube ermöglicht, ohne dadurch das Funktionieren des Gesamtsystems zu gefährden.

Trotz Digitalisierung: Kein technisches Thema!

In Geschäftsalltag sind Schnittstellen auf vielen Ebenen anzufinden. Die Zusammenarbeit von Unternehmen wird über Schnittstellen geregelt. Die Interaktion mit den Kunden erfolgt über Schnittstellen. Dienstleister werden über Schnittstellen in die Geschäftsprozesse einbezogen.

Auf der technischen Ebene werden die Schnittstellen im Detail spezifiziert. „Das ist alles kein Problem. Wir haben eine XML-Schnittstelle.“ Haben Sie diesen oder ähnliche Sätze auch schon gehört? Ich werde dann immer ganz skeptisch. Der „Stecker“ passt zwar, die IT-Spezialisten können mit Feld-Mappings und Umrechnungen vieles erreichen und z.B. bei einem Gewicht Kilogramm in Gramm umrechnen. Wenn bei der Kommunikation jedoch die eine Seite von dem Gewicht eines Einzelteils spricht und die andere Seite vom Gewicht der Verpackungseinheit inklusive Verpackung, dann ist dies einer der typischen Fehler, die erst sehr spät erkannt werden. Die Schnittstelle funktioniert auf der technischen Ebene perfekt, auf der fachlichen Ebene hat man jedoch zu wenig die Inhalte abgeklärt.

Schnittstellenvereinbarungen auf mehreren Ebenen wichtig

Die Technik ist immer nur Mittel zum Zweck. Als Student habe ich vor zahlreichen Jahren das ISO/OSI 7 Schichtenmodell gelernt. Es definiert und standardisiert für den Bereich der Technik sieben Ebenen, auf denen Systeme miteinander über Schnittstellen kommunizieren: von der Kommunikation zwischen Anwendungen bis hinunter zur physikalischen Ebene der Bitübertragung, mit der sich wirklich nur die Techniker befassen müssen.

Der eigentliche Zweck von Technik in Unternehmen liegt jedoch noch darüber: er zeigt sich auf der Ebene der Geschäftsprozesse. Im Geschäftsprozessmanagement liegt der Fokus allerdings vorrangig auf den Abläufen. Dabei spielen die Schnittstellen bei Geschäftsprozessen eine ebenso wichtige Rolle wie in  jedem anderen System auch: als Verbindung zwischen Komponenten eines Gesamtsystems.

Ohne Schnittstellen keine Arbeitsteilung

Warum Schnittstellen oberhalb der technischen Ebene so wenig thematisiert werden, ist für mich als Ingenieur, der in kooperierenden Systemen denkt, fraglich. Es gibt zwar Standards auch für diese Ebenen, z.B. von Rosetta Net. Bei individuellen Schnittstellen, wie sie innerhalb der Unternehmen üblich sind, widmet man der fachlich, inhaltlichen Klärung nach meinem Erleben zu wenig Aufmerksamkeit.

Dabei führt dies nicht zu einem Mehraufwand. Im Gegenteil. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Prozessabläufe viel einfacher werden, wenn vorher die Schnittstellen der an den Prozessen beteiligten Rollen geklärt wurden. Selbstverständlich ist dies ein iterativer Prozess.  Bei der Betrachtung von Abläufen wird man erkennen, dass die Schnittstellen angepasst oder neu konzipiert werden sollten. Und umgekehrt natürlich.

Mit Schnittstellen meine ich dabei nicht nur das Versenden von Nachrichten zwischen Prozessen, was durch BPMN mit in das Denkmodell des Prozessmanagements aufgenommen wurde. Daten, die von verschiedenen Prozessen gelesen oder geändert werden, sind auch eine Schnittstelle. Wenn das Bild der Schnittstellen nicht nur in den Köpfen einzelner vorliegt sondern grafisch visualisiert für alle einheitlich sichtbar ist, dann werden diese Klärungsprozesse schneller und sicherer durchlaufen und man kommt zu einfacheren Lösungen.

Wie gehen Sie mit Schnittstellen in Ihrem Unternehmen um? Werden Prozess-Schnittstellen oder Schnittstellen zwischen Organisationeinheiten explizit geplant? Gibt es einen Blueprint oder einen Bauplan dafür? Erkennt man darin, wie die Prozesse zusammen wirken oder der wie die verschiedenen Organisationseinheiten im operativen Geschäft zusammen agieren? Oder sind die fachlichen und organisatorischen Schnittstellen in Ihrer Organisation kein Thema? Dann sollten Sie sich aber auch nicht wundern, wenn es an den Schnittstellen Probleme gibt.

3 Kommentare

  1. Hallo Herr Bungert,
    sehr gut und transparent das Thema dargestellt. Wir kennen die Problematik aus unserem Spezialthema Daten- und Informationsqualität. Datenqualitäts-Schwächen tretten auch immer an den Schnittstellen auf. Dabei sind nicht die Schnittstellen schuld, sondern es fehlt an Regeln hinsichtlich des gewünschten oder geforderten Qualitätsniveau. Ist der Mensch im Prozess an den Schnittstellen noch beteiligt, greift er häufig korrigierend ein. Nicht optimal, verhindert aber oft Schäden, die sonst viel häufiger beim Kunden auftreten würden. Bei digitalisierten Prozessen funktioniert das nicht mehr. Spätestens hier müssen vorher schon die Regeln festgelegt und entsrechend Umgesetzt und überwacht werden. Dies ist allerdings grundsätzlich zu Empfehlen. Weitere Informationen dazu auch unter http://www.business-information-excellence.de

  2. Sehr geehrter Herr Dr. Bungert,

    zunächst einmal Kompliment für den sehr gelungen Beitrag mit vielen plastischen Beispielen.

    Ich stimme Ihnen absolut zu, dass Schnittstellen überall existieren, ob man sie erkennt oder nicht, oder auch drastischer ausgedrückt, ob man sie will oder nicht. Schnittstellen eignen sich auch hervorragend, um Zuständigkeiten festzulegen, zumindest in der Theorie. Hierin sehe ich auch in der Praxis auch weniger das „Problem“. Heikel wird es in der Realität meist erst dann, wenn zwischen den Schnittstellen nicht klar geregelt ist, wer was liefert, und es unterschiedliche Erwartungen gibt. Auf „Ihre“ Bäckerei bezogen könnte ich als Kunde z.B. erwarten, dass ich dort ein Apfelstrudel kaufen kann. Wenn sie diesen allerdings nicht im Programm haben, ist auch jede Zuständigkeit erstmal belanglos. Was hier jetzt sehr trivial ist, kann aber in Unternehmen zu sehr vielen großen Problemen führen. Viele weitere Beispiele gibt es zudem, wenn Unternehmen am Markt scheitern, weil Sie Produkte anbieten, die keiner der Schnittstellen (=Kunden) einen Nutzen bringen, oder die Erwartungen nicht erfüllen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Schnittstellen ist also meiner Meinung nach nicht nur die Zuständigkeit, sondern auch der klar definierte In- und Output an der Schnittstelle.

    Und leider stelle ich auch in der Praxis oft fest, dass Schnittstellen leider nicht die Komplexität reduzieren, im Gegenteil. Da werden oft für die einfache Übergabe von Output an Input zig-seitige Schnittstellenvereinbarungen etc. verfasst, die weit am Ziel vorbeischießen und deren Lesen schon mehr Fragezeichen aufwirft als Fragen beantwortet.

    Dabei kann – wieder meine Meinung – über eine vernünftige Prozesslandschaft das Schnittstellenthema sehr einfach abgebildet werden. Ob auf höchster Ebene in einer Prozesslandkarte, in der z.B. organisatorische und prozessuale Abhängigkeiten sehr einfach dargestellt werden können, oder auf tieferen Ebenen, wo in EPKs oder sonstigen Prozessmodellen jedes detaillierte In- und Output des Ablaufes beschrieben werden kann, gibt es hier zahlreiche Möglichkeiten, sich das Leben einfacher zu machen.

    Aber auch unabhängig der möglichen BPM-Ansätze etc., den größten Nachholbedarf sehe ich hierbei meist in der Kommunikation zwischen den Beteiligten. Einfach mal miteinander sprechen, löst viele Probleme einfach und schnell. „Haben Sie Apfelstrudel“. „Nein, aber ich kann Ihnen ein Stückchen Torte anbieten.“ „Super, nehme ich gerne“.

    Als kurzes Fazit: Schnittstellen können ein klarer Segen sein, wenn man ein paar einfache Dinge berücksichtigt und klare Verantwortlichkeiten und In- und Output definiert, um alle Erwartungen 100% zu erfüllen.
    VG
    Bernd Ruffing

  3. Schnittstellen sehe ich als Segen: nämlich als klar definierte Übergänge, an denen – welche Wege ein Prozeß ZWISCHEN den Stationen auch immer nehmen mag (und die auch gerne seine Freiheiten haben sollen) – erstens garantiert wieder ein „sauberer Standard“-Zustand herrscht; und wo zweitens an einer ganz bestimmten Stelle in jedweder Hinsicht ein klarer Übergang stattfindet. Verantwortung kann man nur für etwas übernehmen, was man auch beherrscht. Die ideale „Lage“ einer Schnittstelle ist daher im Überlappungsbereich zwischen den Wissensgebieten des vorliefernden Spezialisten für den Prozeßabschnitt X und des weiterverarbeitenden Spezialisten für den Prozeßabschnitt Y.

    In Ihrem Bäcker-Beispiel sieht man schön die Ambivalenz dieses Effektes: einerseits wird für den Anwender die Komplexität rediziert, da er nur den für ihn relevanten Teil erlebt. Andererseits sieht er eventuell anders, welche Teile für ihn relevant sind. Im konkreten Bäcker-Beispiel bedeutet es für den mündigen Nahrungsmittel-Verbraucher (auch) eine Beunruhigung, daß beide Backverkaufsstellen gleich aussehen: diejenige im Hauptbetrieb mit der Backstube dahinter wie diejenigen der Zweigstellen, wo hinter der Schiebetür nur noch die Lieferkette ist, aber nicht mehr die Backstube.

    [Crosspost zu: https://www.xing.com/communities/posts/schnittstellen-fluch-oder-segen-1009811838?comment=33339256%5D

    P.S.: ich verstehe das „Schnitt“ in „Schnittstelle“ also absolut positiv im Sinne von „mit scharfer Klinge sauber geteilt statt geknabbert, gerissen oder wie auch immer sonst so ungefähr gepfriemelt“

Schreibe einen Kommentar

Die Eingabe Ihres Namens, Ihrer E-Mail-Adresse und Ihrer Webseite ist freiwillig. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Falls Sie diese Angaben machen, erklären Sie sich mit deren Speicherung durch diese Website einverstanden. Ihre IP-Adresse wird nicht gespeichert.